450km
13.550hm
6 Etappen
3 Teilnehmer: Dominik, Fabian, Peter
Ein Rennradurlaub während der Tour de France in Frankreich und dabei die Königsetappe von Albertville nach Val Thorens beim berühmten Jedermann-Rennen L' Etape du Tour selbst fahren - unsere Tour 2019 hat echtes Tour-Feeling.
Als feste Unterkunft wählen wir ein schickes Ferienhäuschen oberhalb von Saint-Jean-de-Maurienne (vermietet vom MTB-Vize-Weltmeister Damien Spagnolo) und starten von dort - entweder direkt oder mit kurzer Autofahrt - zahlreiche Einzeletappen u.a. auf den höchsten Pass der Alpen, den Col de L'Iseran. Dazu pilgern wir zur Tour de France am Galibier und nehmen erneut Alpe d'Huez in Angriff.
Startort: Albertville
Zielort: Val Thorens
Distanz: 135 Kilometer
Höhenmeter: 4.563 Höhenmeter
Anstiege: 3
* Cormet de Roselend (1968 m)
* Cote de Longefoy (1350 m)
* Montee de Val Thorens (2365 m)
Es ist die Königsetappe der Tour de France 2019 und die letzte Hürde vor dem Finale der Großen Rundfahrt auf der Champs-Elysées. Denn nach der 20. Bergetappe mit Ziel in Val Thorens steht nur noch das Finale in Paris an. Doch diese letzte Bergetappe von Albertville nach Val Thorens hat es in sich: 135km und 4.563hm über den Cormet de Roselend und den Cote de Longefoy mit Ziel in Val Thorens auf 2.365 Meter. Wow! Diese Etappe fahren wir nach, beziehungsweise vor. Denn wir haben Startplätze für die L'Etape du Tour, das große Jedermann-Rennen der Tour de France, bei dem jedes Jahr eine Etappe der Frankreich-Rundfahrt auf gesperrten Straßen gefahren wird. Insgesamt 16.000 Radsportfreaks sind am Start und nehmen das Abenteuer in Angriff. Das Event findet am 21. Juli statt, die Profis fahren am 27. Juli die Etappe - allerdings verkürzt. Denn aufgrund von Starkregen und drohenden Hangabrutschen wurde bei der Tour die Etappe auf nur 60km reduziert ... soll ihnen gegönnt sein.
Samstag, 20. Juli - Albertville (Startunterlagen holen)
Ankunftstag: Nach rund acht Stunden Autofahrt aus Deutschland erreichen wir Albertville, die Gastgeberstadt der Olympischen Winterspiele 1992. Der Olympiapark ist der zentrale Ort der L'Etape du Tour und rund um das "Théatre des Cérémonies", dem Olympiastadion, ist ein großes Expo-Gelände aufgebaut. Es ist ein wahres Vélo-Festival, schließlich sind heute bis zu 16.000 Radsportler gekommen, um die Startunterlagen für das morgige Rennen abzuholen. Zahlreiche bekannte Marken aus dem Radsport sind mit Ständen vertreten - man kann sich entweder mit neuem Material eindecken, neue Jerseys shoppen, Riegel und Gels kaufen, sich eine Massage gönnen oder sich am Alpecin-Stand sogar die Haare schneiden lassen, um vielleicht noch die entscheidenden Gramm Mehrgewicht loszuwerden. Zudem gibt es Public Viewing der Tour de France und zahlreiche Essens- und Getränkebuden.
Nach der langen Anreise steht für uns das Abholen der Startunterlagen im Fokus. Zahlreiche Volunteers sind hierfür im Einsatz, um an verschiedenen Stationen das Starter-Kit der L'Etape auszuhändigen: Neben der Startnummer und Timetracker gibt es für uns auch einen Rucksack, Trinkflaschen, eine kleine Oberrohrtasche, um während des Rennens den Müll dort zu sammeln, Alpecin-Shampoos (sehr nice!) und Isostar Gels.
Zum Abschluss treffen wir noch eine wahre Tour-Koryphäe: Didi Senft, der Tour-Teufel, der natürlich für ein Foto mit uns posieren möchte. Ob er uns morgen auch den Anstieg hochschreit? Wir werden sehen...
Sonntag, 21. Juli - Renntag
5:30 Uhr. Der Wecker klingelt. Früh, sehr früh. Kaffee wird aufgesetzt, Müsli und Baguette aufgetischt und auch die Nudeln vom gestrigen Abend aufgewärmt. Denn es gilt Kohlenhydrate zu tanken. Es dauert ein wenig, bis wir auf Touren kommen. Aber um 6:30 Uhr ist Abfahrt. Schließlich haben wir ca. 1 Stunde Autofahrt von unserem Ferien-Chalet bis zum Startort nach Albertville. Die meisten anderen Radler sind weit vor uns auf den Beinen, denn wir sind leider in Startblock 14 positioniert, der vorletzte Block mit Rennstart um 8:45 Uhr.
7:40 Uhr. Albertville. Kaum Verkehr und direkt an der Hauptstraße an einem Supermarkt einen Parkplatz gefunden. Das klappt wie am Schnürchen. Wir checken die Räder, besonders den Luftdruck und rollen dann langsam Richtung Startbereich. Beziehungsweise, wir suchen unseren Block 14. Er befindet sich in einer Zufahrtsstraße zum Olympiastadion, direkt mit Blick auf das olympische Feuer, das im Park nach wie vor brennt. Wahnsinns-Atmosphäre. Im Park hat man zudem die Möglichkeit die Wasserflaschen zu füllen sowie Kuchen und Bananen zu essen. Top-Service und alles klasse organisiert. Um 8:15 Uhr stehen wir im Startblock. Noch 30 Minuten, dann geht's los.
8:48 Uhr. Albertville - Start. Die Route haben wir auf das Oberrohr geklebt. Die wichtigsten Zwischenziele: 21,7km Anstieg zum Cormet du Roselend, 41,6km Passhöhe am Roselend, 81km Gipfel zum Cote de Longefoy, 100km Moutiers und letzte Verpflegung vor dem Schlussanstieg nach Val Thorens - und natürlich Ziel nach 135,5km.
Dann geht's los. Hektisch und voller Euphorie bewegt sich der Tross durch Albertville. Nur nicht stürzen, nur nicht dem Vordermann aufs Rad fahren. Die Straßen sind komplett gesperrt, der Radverkehr mit den anderen Teilnehmern aber extrem. Man muss hellwach bleiben. Erst auf der Landstraße zieht sich das Feld auseinander. Wir versuchen zusammen zu bleiben, was gar nicht so einfach ist. Und: Es geht von Anfang an mit 3-5% bergauf. Das Tempo ist hoch? Zu hoch? Wir suchen eine passende Gruppe, denn Windschatten fahren heißt die Devise. Es gelingt uns und die ersten 20km bis nach Beaufort sind schnell gemeistert.
In Beaufort, ein Ort den besonders Käseliebhaber kennen, ist mächtig was los: Viele Zuschauer stehen an der Strecke feuern uns an - das ist wirklich Tour-Atmosphäre pur. Dann geht der Anstieg los: 19,5km und 1224hm erwarten uns - die durchschnittliche Steigung beträgt 6,1%. Die erste Rampe ist 10% steil, der kleinste Gang wird eingelegt und der Puls auf 150 gebracht. Wie eine Riesenpython schlängeln wir uns mit den anderen Radlern den Anstieg hoch. Jeder fährt mittlerweile in seinem Tempo. Treffpunkt ist oben. Nach der ersten Rampe wird es rhythmischer, die Straße enger. Durch den Wald klettert man in die Höhe. Es ist heiß. Vor allem wenn die Sonne in den Anstieg brennt. Am Ende des bewaldeten Abschnitts nach ca. 800hm wird der Blick auf den Lac de Roselend (1.533m) frei und auf den schneebedeckten Mont Blanc im Hintergrund spektakulär. Zur Belohnung geht es einige Meter bergab, Zeit um die Beine zu lockern und sich für den zweiten Teil des Anstiegs zu rüsten, der auf Quäldich wie folgt beschrieben wird:
"Die folgenden 8 km bis zum Gipfel gehören dann sicherlich zu den schönsten Alpenkilometern überhaupt. Am nördlichen Ufer umfährt man auf der nunmehr als D 217 gekennzeichneten Straße den See, ehe die bereits gesehenen langgezogenen Serpentinen zum Felseinschnitt leiten. Auf dem Weg dorthin sollte man einen Blick auf den großen Wasserfall werfen. Ist die Enge passiert, öffnet sich unerwartet ein breites Hochtal. Die Steigung nimmt deutlich ab, so dass man die tolle Landschaft gebührend mit den Augen aufsaugen kann. Angetrieben vom Hochgefühl, lassen sich die restlichen Kilometer leicht herunterkurbeln."
Der Beschreibung ist nichts hinzuzufügen, der Anstieg wirklich traumhaft.
11:36 Uhr. Cormet de Roseland (1968m). Oben. Der erste Pass ist geschafft. Drei Stunden haben wir für die ersten 41 Kilometer gebraucht und noch 90km vor uns. An der Verpflegungsstation ist Vollbetrieb. Wir ergattern frisches Wasser, ein paar Nüsse und warme Cola.
Kurze Verschnaufpause, dann geht es in die temporeiche Abfahrt. Manche ziehen sich wirklich eine Windweste an, bei Temperaturen von weit über 30 Grad. Nun gut. Ab in die Abfahrt.
Und das ist das Gefährlichste, das wir seit langem auf dem Rad gemacht haben. Harakiri trifft es ganz gut. Denn es ist für uns ein reiner Slalomkurs vorbei an den anderen Radlern. Etliche sind wohl noch nie einen Pass bergab gefahren, haben keine Ahnung wie man Kurven fährt und darüberhinaus sind zahlreiche Briten unterwegs, die viel zu langsam und auf der falschen Straßenseite bergab fahren. Eine Trillerpfeife wäre gut. Schreiend geht's zickzack ins Tal. Genussvoll ist anders.
12.55 Uhr. Bourg-Saint-Maurice. Kilometer 60. Wieder Verpflegungsstopp. Dieses Mal gibt es mehr Auswahl und wir gönnen uns 15 Minuten Pause in der brütenden Hitze. Ein wenig macht uns der Blick auf die Uhr Sorge, denn obwohl noch Tausende Radler hinter uns sind, sind wir laut Zeitplan nur noch ca. 15 Minuten vor dem Besenwegen. Also weiter.
13:15 Uhr. Kurz nach Bourg-Saint-Maurice, das sich auf 830 m befindet, wartet der Anstieg zum mittleren Pass, dem Côte de Longefoy. Er liegt nur auf 1.350 m, vielleicht haben wir ihm deshalb nicht sonderlich große Beachtung geschenkt. "Dort schnell drüber und dann in den Schlussanstieg nach Val Thorens" ist unser Motto. Nach der Verpflegung haben wir wieder Energie und finden eine temporeiche Gruppe, die uns nach Mâcet-la-Plagne zieht. Ab dort geht's wieder in den Kletter-Modus. 580 hm bei 10 km Länge sind es bis in das Dorf Notre-Dame-du-Pré - das klingt nicht allzu tough. Aber die Hitze raubt uns die Kräfte - der Anstieg liegt in der prallen Mittagssonne. Das Thermometer zeigt knapp 40 Grad. Wie schön war es doch auf 2.000 Meter Höhe, aber im Tal staut sich die heiße Luft. Fabian und Peter finden einen guten Tritt, Dominik muss abreißen lassen und im eigenen Tempo hochkriechen. Der Körper arbeitet und arbeitet. Der Kopf auch.
14:30 Uhr. Notre-Dame-du-Pré (1.350 m). Endlich oben. Wasser tanken. An den Brunnen haben sich lange Schlangen gebildet. 81 km und 2.500 hm sind bereits geschafft. Heißt aber auch: Es liegen noch 2.000 hm und 55 km vor uns. Peter und Fabian stürzen sich in die serpentinenreiche Abfahrt nach Moutiers (539 m) und stärken sich an der Verpflegungsstation. Dominik muss eine Zwangspause einlegen - der Körper streikt, er ist leer, ausgepumpt. In einem kleinen Café an der Abfahrt wird kurz eingekehrt, endlich kalte Cola und ein Eis - wie gut für die Psyche.
14:55 Uhr. Moutiers (500 m). Hier beginnt er: Der gefürchtete Schlussanstieg nach Val Thorens auf 2365 m zum höchsten Resort der Alpen. Mehr als 35 Kilometer und 2000 Höhenmeter bei einer durchschnittlichen Steigung von 5,5 Prozent sind zu bewältigen. Allez, Allez. Peter und Fabian nehmen den Anstieg in Angriff.
15:30 Uhr. Dominik erreicht Moutiers und die Verpflegungsstation. Dort hat sich an der Straße ein Stau gebildet. Jetzt ist klar warum: "Route Fermée" oder wie der Casino-Zocker sagen würde "Rien ne va plus". Nichts geht mehr. Die Auffahrtsstraße nach Val Thorens ist für die Radler bereits gesperrt. Zeitlimit überschritten. Das soll es gewesen sein. Aus der L'Etape du Tour wird ein L'Etappchen du Tour - immerhin mit 100km und 2.500hm. Und letztendlich länger als die Strecke der Profis, die die Etappe aufgrund der Wetterkapriolen stark verkürzt fahren mussten...
Für Fabian und Peter gibt es kein zurück. Sondern nur den einen Weg - bergauf.
16:45 Uhr. Saint-Martin-de-Belleville. 15 Kilometer des Schlussanstiegs sind bezwungen. Es ist ein Kampf gegen den inneren Schweinehund, gegen die Psyche, gegen die Hitze. Es werden nicht alle diesen Kampf gewinnen. Vor dem kleinen Örtchen Saint-Martin-de-Belleville geht es in steilen Serpentinen hoch. Eine davon haben wir "Kurve des Grauens" getauft. Völlig erschöpfte Radler sitzen oder liegen dort im Schatten. Ihre Blicke sind leer. Manche Gesichter fahl. Es ist still. Komplettes Schweigen. Vor ihnen ein Friedhof aus Carbon-Rädern. Aber seht selbst:
17:45 Uhr. Les Ménuires. Bloß nicht selbst zur Radleiche werden. Also weiter stumpf bergauf. 9:00 Stunden Fahrzeit sind überschritten. 123 km geschafft, als der Skiort Les Ménuires, der ebenfalls mit den Trois Vallées verknüpft ist, erreicht wird. Hier wartet eine kurze Erholungsabfahrt, falls man dies als Erholung bezeichnen kann. Weiter hoch. Noch zehn Kilometer. Fabian prescht vor. Peter fällt etwas zurück und bekommt auf einmal Besuch von hinten. Der Besenwegen überholt ihn. No Way! Nicht mit Peter. Er überholt ihn zurück und lässt ihn auch nicht mehr vorbei. Stumpf, eintönig, einfach ins Ziel hoch. Die letzten Kilometer sind hart. Knüppelhart. Noch fünf Kilometer. Noch drei. Val Thorens ist in Sichtweise.
19:08 Uhr: Val Thorens (2.365 m). Es wird noch einmal steil, brutal steil. Die Strecke schlängelt sich durch den Ort. Wann kommt endlich das verdammte Ziel? Nun verabschiedet sich auch der Asphaltboden und die letzten Meter müssen auf Schotter zurückgelegt werden. Dann ist sie da - die ersehnte Ziellinie auf 2.365m Höhe. Nach 10 Stunden und 19 Minuten (Fabian) und nach 10 Stunden 38 Minuten (Peter). Welch ein Ritt.
Didi Senft haben wir übrigens nicht gesehen, aber dem Teufel sind wir mehrfach begegnet.
21:05 Uhr. Val Thorens. Immer noch im Zielort. Es ist dunkel und kalt geworden. Wir warten auf den Bus-Transfer zurück nach Albertville. Denn nur 2 von 3 haben ein Rückfahrtticket. Peter lassen sie ohne Ticket nicht in den Bus. Erst in den letzten dürfen wir alle drei rein, wenn dort genügend Platz ist. Es hilft nichts. Wir müssen auf das letzte Shuttle warten, das um 21:00 Uhr abfährt. Es klappt. Selten so glücklich über eine Busfahrt gewesen. Knapp 1 1/2 Stunden braucht der Bus den Pass bergab und über die Schnellstraße nach Albertville. Unsere Räder werden per LKW nach unten transportiert. Es dauert noch eine gute halbe Stunde bis jeder sein Rad hat.
23:31 Uhr. Albertville. Wir haben alle Räder. Und noch viel wichtiger. Das erste warme Essen. Die McDonalds Burger haben wir uns aber auch verdient...
00:55 Uhr. Les Bottieres. Zurück in unserem Ferien-Chalet. Was ein Auftakt unserer Radwoche.
50km, 1650hm
Nach den Qualen von der L'Etape du Tour entscheiden wir uns am zweiten Tag für eine entspannte, kurze Etappe. Doch zuvor schlafen wir aus und frühstücken lange, bevor wir gegen Mittag zum Col du Mollard aufbrechen. Der Nachteil: Wir starten in der Mittagshitze. Aber die Passbeschreibung eines Users auf Komoot liest sich prädestiniert:
"Die 40 Kehren bei angenehmer Steigung von 5 - 8% zum Col de Mollard entlang der ruhigen und schattigen D80 sind eine herrliche und entspannende Auffahrt, speziell an heißen Tagen." (Sigi Sommer)
Der Aufstieg schlängelt sich ab Saint-Jean-de-Maurienne geschützt durch den Wald schattig den Berg hoch. Trotzdem sind die über 1.100hm auf den 17,5km zum Col du Mollard anspruchsvoll. Der Asphalt ist rau. Allerdings haben wir den Anstieg komplett für uns alleine - kein Auto, kein anderer Radfahrer kommt uns entgegen oder überholt uns. Obwohl der Anstieg im Schatten liegt, ist die Hitze heftig. Zudem müssen wir mit dem Wasser haushalten, denn es ist weit und breit kein Brunnen in Sicht.
Erst in Albiez-le-Jeune nach 13km Anstieg kommt die ersehnte Abkühlung. Gibt es was Besseres als frisches, kaltes, glasklares Bergwasser? Für uns in dem Moment nicht! Bei Albiez-le-Jeune haben wir das Hochplateau erreicht und uns öffnet sich ein beeindruckender Ausblick in Richtung Croix-de-Fer. Dann nehmen wir die letzten Kilometer des Anstiegs, der in Albiez-Montron beginnt, auf den 1.638m hoch gelegenen Col du Mollard in Angriff.
Am Passschild halten wir kurz und überlegen, ob wir in den schönen Lac le Mollard springen sollen. Doch wir lassen den See und die weidenden Kühe und Pferde in Ruhe und kehren im Ort auf ein Eis sowie eine kalte Cola ein. Im Anschluss geht's temporeich in Richtung Saint-Jean-de-Maurienne zurück, allerdings kurz vor SJdM scharf links weg und wieder in den Anstieg: Denn unsere Chalet liegt in Les Bottiers und bis dahin sind es nochmal 5km und 500hm bei bis zu 12%. Allez, Allez!
73km, 2380 hm
Col du Chaussy - noch nie gehört? Dann wird es aber Zeit. Denn wer bei dem Wort Serpentinen-Nirvana nur an Stelvio oder Alpe d'Huez denkt, der hat die Rechnung ohne die "Lacets de Montvernier" (Serpentinen nach Montvernier) gemacht. In Pontamafrey beginnt der Anstieg zum Col du Chaussy direkt im Maurienne-Tal und auf den ersten 4 Kilometern nach Montvernier schlängelt sich die Straße terrassenförmig über 18 eng geschlungene Kehren bergauf. Ein wahrer Traum für Kletterer und spektakulärer Beginn der Etappe.
Wir starten früh, sind um kurz vor 8:00 Uhr bereits im Sattel, um der Hitze zuvorzukommen. Die Serpentinen nach Montvernier liegen im Schatten, die Sonne muss sich erst noch hinter dem Bergmassiv hoch kämpfen.
Insgesamt 13km und 1000hm gilt es zu erklimmen. Nach den Kehren führt die Straße an senkrechten Felswänden entlang und eröffnet uns schöne Ausblicke ins Arctal. Und wieder: nichts los. Wir haben die Straße komplett für uns alleine. Als nächstes wird der Ort Montpascal passiert, und vorbei an einigen Almen geht es stetig hoch zur Passhöhe des Chaussy. Am Passschild ist direkt eine Wasserhahn, sodass wir hier optimal unsere Flaschen auffüllen können.
Früher war hier wohl die Strecke für Rennradler zu Ende, aber der Weg nach Montaimont, der uns an den Anstieg zum Col de la Madeleine bringt, ist frisch asphaltiert und bestens zu fahren. Kurz nach La Chambre biegen wir auf die D213. 18km und 1500hm bietet der Madeleine auf, der auf 1993 Meter thront. Auf den Passschildern mogelt er aber sieben Meter hinzu, um zum Club der 2000er zu gehören.
Der Anstieg ist nicht sonderlich spektakulär, eher eintönig. Am Skiort St. Francois-Longchamp stoppen wir an einem Supermarkt und gönnen uns unser Mittagsmenu: Cola, Schokoriegel, Banane, etwas Kuchen und neues Wasser. Dann gehts weiter - der Rest des Anstiegs liegt prall in der Sonne. Die Passhöhe lässt sich bereits erahnen, es zieht sich jedoch noch ein ganzes Stück. Um kurz nach 13:00 Uhr sind wir oben und können den Ausblick genießen. Auch ein nettes Café gibt es dort, die 5€ für 0,33l Coke sparen wir uns jedoch. Nach kurzem Relaxen gehts zurück in die Abfahrt und über La Chambre im Tal nach SJdM.
Bild: https://www.instagram.com/p/BlGZGE8FHWz/?utm_source=ig_web_copy_link
95km, 2200 hm
2770m - die höchste Passstraße der Alpen. Logisch, dass wir uns diesen Anstieg nicht entgehen lassen! Die Route ist heute ziemlich simpel: 47,3km bergauf, und dann wieder 47,3km bergab zurück. Trotz der gigantischen Höhe und über 2.000hm am Stück gilt der Iseran als sanfter Riese, schließlich beträgt die Steigung im Schnitt 4,8%. Das kling human. Trotzdem eine Wahnsinnslänge.
Unser Startpunkt ist Bourg Saint-Maurice - dort parken wir am Sportplatz und satteln auf. Ohne einrollen geht es direkt in den Anstieg. Das große Kettenblatt hat erstmal Pause. Die ersten Kilometer sind alles andere als schön zu fahren. Denn die D902 ist stark befahren, vor allem Kleintransporter auf dem Weg nach Tignes oder Val d‘Isere überholen uns immer wieder temporeich. Durchhaltevermögen ist gefragt und so kurbeln wir uns hoch. Auf 1.600 Meter Höhe gabelt sich die Straße: Statt rechts nach Tignes fahren wir weiter geradeaus entlang des Stausees Lac du Chevril in Richtung Val d'Isere. Hier sind einige Tunnels zu passieren, nicht angenehm, aber es geht. Nur an einer dunklen Stelle, als auch noch Wasser auf den Asphalt rinnt, wird es ein wenig heikel. Nach den Tunnelpassagen geht es in den berühmten Winterort Val d'Isere, der sich festlich für die Tour de France geschmückt hat. 30km Anstieg haben wir bereits in den Knochen und eine Stärkung verdient. Val d'Isere liegt auf knapp 1.900m Höhe und das merkt man, denn es ist hier oben schön angenehm, die Hitze staut sich nicht so wie im Tal.
Und nicht nur das Wetter ist angenehm, auch der Anstieg hat nun einen ganz anderen Charakter, erinnert stark an den Galibier. Die Straßen werden schmaler, kurvenreicher und vor allem herrscht kaum mehr Verkehr. Das Panorama ist beeindruckend. Es geht ein Stück entlang des Flusslaufs der Isere, dann rechts weg und steil bergauf. Hochschalten Wiegetritt, wieder runterschalten und im Sitzen weiter. So machen wir Meter um Meter. Es geht immer höher, vorbei an Skianlagen. Und immer wieder diese beeindruckenden Ausblicke. Hammer! Der Blick zurück zum Stausee, nach Val d'Isere, dazu die schneebedeckten Gletschergipfel. Selten so ein Panorama genossen.
Besonders hilfreich sind in Frankreich auch die Kilometer-Steine am Wegrand - sie zeigen die aktuelle Höhe, den Restweg zum Gipfel und die durchschnittliche Steigung des nächsten Kilometers an. So kann man sich top motivieren und sich gute Zwischenziele stecken. Noch zwei Kilometer, dann ist es geschafft. "We adore le Tour" steht auf der Straße geschrieben. Wir lieben sie auch. Unsere Tour. Geschafft. Passchild. 2770 Meter Höhe. Der höchste Pass der Alpen. Bähm!
60km, 1800 hm
Heute ist Ruhetag. Haben wir uns verdient. Denn die heutige Tour-de-France-Etappe führt über den Galibier und endet in Valloire. Das Spektakel wollen wir uns nicht entgehen lassen und an den Gipfel des Galabier pilgern. Doch wie kommen wir dahin ..... ihr ahnt es ;-)
Wir starten früh und wollen mit dem Auto soweit es geht den Berg hochfahren. Vielleicht kommen wir bis nach Valloire oder sogar ein Stück den Galibier-Anstieg hoch.
Weit gefehlt. Wir können zwar noch nach Michel-de-Maurienne in den Télégraphe-Anstieg reinfahren, werden aber nach zwei Serpentinen von der Gendarmerie auf einen Parkplatz gelotst. Merde! Wird wohl nix mit Ruhetag.
Hatten wir befürchtet. Also holen wir die Räder runter, schultern die Rucksäcke und rauf geht’s auf den bequemen Sattel.
Was braucht man im Rucksack bei der Tour?
Nach Alpe d‘Huez sind wir 2015 zu Fuß hoch gepilgert und hatten sogar 3l Vino dabei, auf den müssen wir leider verzichten.
Es ist 8:30 Uhr als wir losfahren, gegen 12:00 Uhr wollen wir oben am Galibier sein und um ca. 16:30 Uhr kommt der Tour-Tross. Wir haben also rund 4 Stunden am Straßenrand zu überbrücken, und das soll so angenehm wie möglich sein.
So schauen unsere Rucksäcke aus:
- Dreibein als Sitzgelegenheit (alternativ geht auch der Rucksack)
- Cola-Dose
- Salami am Stück
- Baguette
- Schuhe (mit den Cleats den ganzen Tag wird’s unbequem)
- Ersatztrikot
- Cap
- Powerbank
- Geld/Iphone
Aber erst mal müssen wir hochkommen. Mit Rucksack zu fahren sind wir gar nicht mehr gewohnt, aber relativ schnell arrangieren wir uns mit dem Extra-Balast. Insgesamt liegen rund 30km vor uns: Noch rund 8km und 600hm bis zum Télégraphe, kurze Abfahrt nach Valloire, und 18km und 1220hm zum Galibier auf 2.645m Höhe. Das war 2016 noch unsere Königsetappe!
Los geht’s! Der Télégraphe fährt sich flüssig, es geht angenehm und schattig durch den Wald und vor allem: fast autofrei. Denn nur Radler und ‚Official Cars‘ sind unterwegs. Nach ca. 45 Minuten haben wir Pass Nr. 1 geschafft. Wir stoppen kurz und genießen die Atmosphäre. Denn bestens gelaunte kolumbianische Schlachtenbummler sorgen für gute Stimmung am Relais du Télégraphe. Zahlreiche andere Radler tanken Kraft für den Galibier.
Weiter geht’s in die Abfahrt nach Valloire. Dort herrscht reges Treiben, Straßen werden gesperrt, Bühnen aufgebaut und der Ort putzt sich nochmal für die Zielankunft raus. Wie Tausende andere Radler pilgern wir weiter hoch zum Galibier - wie bei einem Hansi-Hinterseer-Bergkonzert. Radler aus allen Nationen. Ohne Verkehr!
Das Wetter ist bombe, der Anstieg traumhaft zu fahren - so haben wir ihn 2016 beschrieben:
„Die ersten 10km geht es recht gerade ohne viel Schnickschnack durch das Hochtal am Bach La Valoirette entlang. Die Landschaft ist im Grunde ziemlich karg, die Ausblicke und die Wuchtigkeit der Berge jedoch beeindruckend.
Am Refuge du Plan-Lachat auf 1961m ändert sich dies schlagartig. Das Hochtal endet an dieser Stelle und die Straße macht einen 180 Grad Knick nach rechts weg. Fortan geht es in zahlreichen Kehren terrassenförmig bergauf. Die Steigung nimmt spürbar zu und immer wieder müssen wir zur Entlastung in den Wiegetritt. Die steilen Felswände in den Serpentinen verstärken unser Gefühl, dass wir uns nun quasi durch das massive Bergmassiv hochbohren.
Auch die Passhöhe des Galibiers lässt sich bereits erahnen. Auf rund 2550 Metern stehen wir am Restaurant, das direkt am Eingang des Scheiteltunnels liegt. Für uns geht's nicht in den Tunnel sondern daran vorbei in den Schlussanstieg. Dieser sieht bereits von unten furchteinflössend steil aus. Doch es sind für uns nur noch rund 100 Höhenmeter und das Ziel in Griffweite setzt bei uns Kräfte frei.“
Am Passschild oben geht’s zu wie am Stachus in der Rush-Hour. Wir kommen gar nicht durch, sondern machen aus der Ferne ein Foto. Irgendwie schon krass, dass rund vier Stunden bevor beim bedeutendsten Radrennen der Welt die Profis über den Pass fliegen, jetzt noch Tausende Radbegeisterte auf der gleichen Strecke ihrer Leidenschaft nachgehen können. Man stelle sich das mal vor, dass in der Allianz Arena vormittags jeder kicken kann der Bock hat, und erst am Nachmittag der Rasen für die Bayern gesperrt wird.
Und hinzu kommt: Die Tour live vor Ort zu schauen kostet keinen Eintritt! Gibt es überhaupt noch Sportgroßereignisse, die man kostenfrei besuchen kann?
Ein paar Kehren fahren wir auf der anderen Seite wieder ab, bis wir einen guten Platz am Rand finden. Wir positionieren Dreibein und Rucksäcke und machen erstmal Brotzeit. Von unserem Platz aus können wir in den Anstieg sehen und zudem fußläufig das „Chalet de Galibier Refuge“ erreichen. Dort gibt’s Toiletten und frisch gezapftes Bier - denn viel trinken ist bei dem Wetter ja bekanntlich wichtig. Die Stimmung ist relaxed, das Warten wird durch die Werbekolonne verkürzt - auch die Team-Busse schlängeln sich hoch, nehmen aber den Tunnel. Als die ersten TV-Hubschrauber kreisen steigt die Nervosität am Pass - gleich geht's los. Wer führt? Wie groß ist die Spitzengruppe? Leider ist am Pass Handy- und Internet-Empfang sehr schlecht.
Nun kommen die Polizei-Motorräder angefahren, das Treiben wird hektischer. Keiner sitzt mehr. Alle stehen am Pass, schauen gespannt nach unten. Dann wird es laut. Die Straße zur Gasse. Der Führende kommt: Nairo Quintana. Der kolumbianische Bergfloh fliegt den Galibier hoch und gewinnt später die Etappe in Valloire.
Das Feld ist stark auseinander gezogen. Sagan kämpft sich als einer der Letzten den Berg hoch, wir fühlen mit ihm.
Mittlerweile braut sich am Himmel was zusammen. Ein Gewitter zieht auf. Es wird kalt und windig. Nachdem der letzte Fahrer durch ist, packen wir unsere Sachen zusammen und steigen auf die Räder. Vorbildlich, dass fast jeder am Berg seinen Müll mitnimmt. Im Schneckentempo kriechen wir im Radlerstau die paar Kehren zum Galibier hoch und stürzen uns dann in die Abfahrt. Nach ein paar Kilometern, kurz vor Valloire wird der Regen zum Unwetter. Die Straße gleicht an manchen Stellen einem Sturzbach. Wir kämpfen uns vorsichtig bergab, sind allerdings komplett durchnässt und durchgekühlt. In Valloire schlängeln wir uns am Zielbereich vorbei, sehen noch Julian Alaphilippe, der erneut sein Gelbes Trikot verteidigte, bevor wir in den Anstieg zum Télégraphe müssen. Es regnet immer noch. Spaß macht es nicht. Wenig später überholt uns eine hektische Polizeikolonne, die uns zum Anhalten zwingt, um Alaphilippe ins Tal zu chauffieren. Nun gut. Um 19:00 Uhr erreichen wir das Auto. Abendessen gibt es bei unserem Official Food Partner 2019, McDonald's.
30km, 1300hm
Ein Klassiker zum Abschluss: L‘Alpe d‘Huez. Der Anstieg ist ein Muss für alle Radsportfreaks. Peter kennt den Pass nur aus dem TV, das soll sich ändern.
Natürlich gibt es in der Region landschaftlich spektakulärere Anstiege und viel längere, härtere Pässe, aber Alpe d‘Huez ist einfach ein Mythos. Pantani, Ullrich, Armstrong - es gab so viele (wenn auch meist dopingverseuchte) magische Duelle und Heldenritte hinauf zu diesem trostlosen Retortenskiort. Da darf unsere Geschichte natürlich auch nicht fehlen.
Unsere Story beginnt am Parkplatz Bourg d‘Oisans mit einem Reifenschaden 😃 Also Peter hat den Defekt, sein Mantel ist an der Lauffläche eingerissen. Er darf sich in einem der vielen Radläden einen neuen Mantel gönnen. Schweißgebadet vom Boxenstopp, aber auf neuen Slicks unterwegs, geht‘s für Peter und uns in den Anstieg.
Die Anfangsrampe: Wir fahren Vollgas rein, irgendwie überpacen wir hier immer, und finden erst nach der ersten Rechtskurve in den Rhythmus. Alpe d‘Huez ist steil, im Schnitt ca. 8% und weist eine Länge von 13km bei über 1.100hm auf.
Nach dem Kaltstart bei 35Grad Außentemperatur grooven wir uns nach ca. 2km ein. Es ist der letzte Anstieg unserer Tour. Jeder geht sein Tempo, versucht nochmal ans Limit zu gehen.
Im Ort oben wird’s dann unübersichtlich. Die Ausschilderung der „Original-Strecke“ ist dürftig und die Plakate des Alpe d‘Huez-Triathlons, der heute ebenfalls stattfindet, irreführend. Fabian und Dominik erahnen den richtigen Weg zur Zieldurchfahrt - Peter dreht ein, zwei zusätzliche Sight-Seeing-Runden.
Wir sind oben an einem Mauer-Sims am „Passchild“. Geschafft!
Strava sagt bei mir (Dominik) 1:25h. Fabian war schneller mit 1:20h. Pantani ist 1997 Alpe d‘Huez in epochalen 37 Minuten und 35 Sekunden hochgeflogen. Wir sind zufrieden, sehr zufrieden.
Eine perfekte Radwoche! Während der Tour de France selbst einen Radurlaub in Frankreich zu verbringen ist klasse - man spürt die Radbegeisterung im Land, und kann abends nach den eigenen Strapazen das Rennen der Profis Re-Live schauen. Die Pässe sind einfach der Wahnsinn, die Kulisse auf den Gipfeln über 2.500m unbeschreiblich. Doch auch von den menschenleeren, kleineren Anstiegen wie Chaussy oder Mollard waren wir begeistert. Croix de Fer und Glandon ging sich zudem gar nicht aus. Und die knüppelharte L'Etape du Tour war eine krasse Erfahrungen und hier haben wir noch eine Rechnung offen. Wir kommen wieder. Versprochen ....