Die berühmten Tour de France Pässe

Frankreich - Westalpen

5 Etappen

427km

über 10.000 Höhenmeter

3 Teilnehmer: Dominik, Fabian, Kjell

 

Galibier, Alpe d'Huez, Croix de Fer und Mont Ventoux - 2016 ging es für uns nach Frankreich in die Westalpen, um die berühmten Tour-Anstiege zu erklimmen.

 


Gigantische Erfahrung und eine unvergleichbare Fahrradkultur warteten auf uns.

Mit dem Auto ging es für uns nach Bourg d'Oisans, dem berühmten Tour-Ort am Fuße von Alpe d'Huez. Dort bezogen wir ein kleines Ferienhaus, um von dort aus Tagestouren auf die Tour-Gipfel zu starten. Der Vorteil daran: Wir konnten zum ersten Mal auf die Rucksäcke verzichten. Nach drei Tagen ging es für uns weiter in Richtung Mont Ventoux, der in der Provence weiter südlich als einzelner Riese herausragt. Etwas nördlich von Nizza ließen wir die Tour dann ausklingen. 

 

Etappe 1: Alpe d'Huez, Col de Sarenne, Les Deux Alpes

70km, 2100hm

 

Zum Auftakt haben wir uns direkt einen Mythos ausgesucht: Alpe d'Huez. Welcher Radsportfan kennt diesen Berg nicht? Schließlich ist es wohl der bekannteste Anstieg der Tour de France. Über 21 Kehren schlängelt sich die Straße auf ca. 15 Kilometer in die Höhe. Der schwerste Pass ist Alpe d'Huez sicherlich nicht, aber wohl der Prestigeträchtigste. So ist jede Kehre einem Tour-Etappensieger gewidmet. Kehre 13 widmen wir unserem Freund Tilman, dem es 2015 bei seinem Anstieg so gut in Kehre 13  gefallen hat, dass er prompt darauf "verzichtete" den Gipfel komplett zu erklimmen ;-) Unser Ferienhaus liegt inmitten von Bourg d'Oisans, sodass es für uns ohne Einrollen in den Anstieg geht. Die Anfangsrampe hat es in sich (gleichwohl sie nicht mit dem Hahnntenjoch vergleichbar ist), es ist jedoch wohl auch die steilste Passage des Berges. Etliche andere Rennradler kämpfen sich den Berg hoch, da wollen wir natürlich Schritt halten. Immer wieder fällt unser Blick auf den Asphalt und die aufgemalten Namen und Anfeuerungen für die Tour-Helden. Das hat schon etwas! In manchen Kehren haben Fotografen Stellung bezogen. Die professionellen Bilder können später online gekauft werden. Das motiviert zusätzlich, schließlich wollen wir auf den Fotos nicht allzu gequält aussehen. Was uns allerdings schwerfällt, denn es ist vor allem die Hitze, die uns bei über 40 Grad zu schaffen macht. In Alpe d'Huez oben angekommen, einen oftmals kritisierten künstlichen Retortenskiort, den wir allerdings gar nicht als so hässlich empfinden, tanken wir Wasser und erfrischen uns mit einer Cola. 18,60 € für 3 Kaltgetränke - willkommen in Frankreich.

 

Von Alpe d'Huez (1858m) geht es nach kurzer Abfahrt weiter rauf auf den Col de Sarenne auf 2001m. Auf dem 8 Kilometer langen Weg zum Sarenne können wir die pure Natur genießen - kaum eine Menschenseele verirrt sich hierher. Allerdings ist der Asphalt sehr schlecht, was viel Kraft kostet. Der letzte Anstieg (11km und 770hm) auf unserer Rundtour ist eine Sackgasse nach Les Deux Alpes - ebenfalls ein sehr beliebter Skiort im Winter. Die Stichstraße ist breit ausgebaut und zieht sich durch einen Mischwald, der später lichter wird. Elf Serpentinen sind es auf dem Weg nach Les Deux Alpes. Jan Ullrich hat übrigens genau auf diesem Schlussanstieg im Jahr 1998  viel Zeit und somit auch die Tour verloren - ihm machte vor allem das miserable Wetter damals zu schaffen. Bei uns zeigt das Thermometer in der Sonne tatsächlich 48 Grad an. Das andere Extrem. Wir tanken oben wieder Wasser - geben uns dann allerdings Hitzefrei und radeln gemütlich zurück nach Bourg d'Oisans. 





Etappe 2: Col de la Croix de Fer, Col du Glandon

80km, 2000hm

Unser heutiges Ziel ist der Col de la Croix de Fer, der Anstieg zum "Eisernen Kreuz" mit einem kleinen Abstecher zum Col du Glandon.  Vom Namen her steht der Croix de Fer etwas im Schatten der bekannteren Tour-Pässe wie Alpe d'Huez oder Galibier, aber landschaftlich und vom Härtegrad steht der Pass den anderen in Nichts nach - im Gegenteil. Von der Südseite mit der Auffahrt ab Rochetaillée sind es 32km Anstieg und insgesamt 1600hm mit einer Durchschnittssteigung von 5,8 %. Und das für uns immer noch bei Maximaltemperaturen jenseits der 40 Grad. Nach einem kohlenhydratreichen Frühstück im Ferienhaus können wir die ersten Kilometer nach Rochetaillée entspannt einrollen. Nach etwa 3,5 Kilometer gelangen wir über zwei Kehren und ein paar Höhenmeter zum Stausee Lac du Verny und in das namengleiche Örtchen.

 

Am Ortsausgang von Rochetaillée beginnt nun der wirkliche Passanstieg. Der erste Abschnitt führt über sieben Kilometer ohne viel Kehren und bei hohen einstelligen Steigungsgraden durch den Wald bis ins kleine Örtchen Revier d'Allemond. An einem Trinkwasserbrunnen füllen wir unsere Flaschen nach und nutzen die kurze Rast zur Erholung. Danach wird es unryhthmisch - denn zuerst führen uns einige Serpentinen wieder bergab, bevor es umso steiler wieder bergauf geht. Jetzt betragen die Steigungen deutlich über 10 Prozent. Dass wir zuvor wieder einige Höhenmeter "verloren" haben, ist nicht gerade motivierend. Nach zwei, drei terrassenförmigen Serpentinen öffnet sich der Blick für uns auf den in der Sonne glitzernden Stausee Lac de Grand Maison. Hier befinden wir uns nun jenseits der Baumgrenze in einem kargen Hochtal. Unser Ziel die Passhöhe ist bereits in der Ferne gut erkennbar.

 

Am Stausee geht es noch einmal kurz und temporeich bergab, was uns etwas Erholung für den etwa 4km langen Schlussanstieg gib, der uns keine großen Probleme mehr bereitet. Nach rund 2:45h haben wir den Croix de Fer auf 2067 Metern Höhe und damit unseren nächsten Anstieg der "Hors Categorie" bezwungen. Ein wirklich sehr reizvoller Pass, teilweise umrhythmische aber mit einzigartigen Eindrücken. 

 

Auf der Rückfahrt biegen wir nach 2,5 Kilometern an einer Weggabelung nach rechts ab, denn wenige Höhenmeter später sehen wir bereits das nächste Passschild und stehen am Gipfel vom Col du Glandon. Eigentlich wollten wir diesen Berg von der anderen Seite erklimmen - aufgrund der Hitze und den kommenden Strapazen verzichten wir allerdings darauf. Und auf der Rückfahrt nach Bourg d'Oisans haben wir schließlich noch einige Gegensteigungen zu meistern, bevor die Pasta-Party im Ferienhaus starten kann.  



Etappe 3: Col du Télégraphe, Col du Galibier

75km, 2500 hm

Col du Galibier - welch ein Leckerbissen der Tour-Geschichte, der heute auf uns wartet. Mit einer Passhöhe auf 2646 Meter ist der Galibier der fünfthöchste Straßenpass der Alpen und natürlich bereits einige Male das Dach der Tour de France gewesen. Und wer auf den Galibier will, der muss zuerst noch den Col du Télégraphe bewältigen - im Grunde erwarten uns heute zwei Pässe um auf einen Gipfel zu kommen.

 

Ausgangspunkt ist für uns der Ort St. Jean-de-Maurienne, den wir mit dem Auto nach gut 1 1/2 Stunden Fahrt erreichen. Auf dem großen Parkplatz im Ortszentrum holen wir unsere Räder vom Dach, verdrücken noch eine Banane und einen Riegel. Insgesamt sind es von St. Jean-de-Maurienne 2075 Höhenmeter verteilt auf 34 Kilometer mit einer Durchschnittssteigung von 5,3 % bei Rampen von über 12 % bis zum Passschild "Col du Galibier". Das Wetter ist heute klasse, immer noch klar und sonnig und in der Höhe heute etwas kühler. 

 

Die 11km und 850hm auf den Télégraphe beginnen direkt in St. Jean-de-Maurienne. Der Télégraphe dient vor allem den Wintertouristen als Passweg in den Skiort Valloire. Die Straßen sind dementsprechend gut und breit ausgebaut. Die Steigung beträgt fast durchweg konstante 7% - steile Rampen gibt es quasi nicht. So ist der Anstieg für uns sehr flüssig und angenehm zu fahren. Wir finden schnell einen passenden Rhythmus und können uns die Körner für den Galibier aufsparen. Die meiste Zeit geht es durch den Wald - erst zum Schluss öffnen sich uns tolle Blicke ins Tal. Die Passhöhe taucht dann nach rund einer Stunde Fahrzeit nach einer langgezogenen Linkskurve auf. 

 

Vom Télégraphe geht es bergab nach Valloire - ca. 200 Höhenmeter verlieren wir auf der fünf Kilometer langen Abfahrt, die wir später wieder bergauf müssen. In Valloire beginnt nun der eigentliche Anstieg auf den Galibier. Die Fakten - 18km, 1850hm mit 12% Rampen und einer Durchschnittssteigung von ca. 8% - sprechen eine klare Sprache: Jetzt geht's ins Eingemachte. Die ersten 10km geht es recht gerade ohne viel Schnickschnack durch das Hochtal am Bach La Valoirette entlang.  Die Landschaft ist im Grunde ziemlich karg, die Ausblicke und die Wuchtigkeit der Berge jedoch beeindruckend. Wir klettern immer höher, es ist ziemlich einsam auf dem Weg nach oben. Man wird irgendwie eins mit dem Berg - das einzige was zählt ist ein harmonischer möglichst kräftesparender Tritt.  

 

Am Refuge du Plan-Lachat auf 1961m ändert sich dies schlagartig. Das Hochtal endet an dieser Stelle und die Straße macht einen 180 Grad Knick nach rechts weg. Fortan geht es in zahlreichen Kehren terrassenförmig bergauf. Die Steigung nimmt spürbar zu und immer wieder müssen wir zur Entlastung in den Wiegetritt. Die steilen Felswände in den Serpentinen verstärken unser Gefühl, dass wir uns nun quasi durch das massive Bergmassiv hochbohren. Die Blicke nach unten werden immer weitläufiger, das gibt uns ein gutes Feedback, dass wir immer mehr an Höhe gewinnen. Auch die Passhöhe des Galibiers lässt sich bereits erahnen. Auf rund 2550 Metern stehen wir am Restaurant, das direkt am Eingang des Scheiteltunnels liegt. Für uns geht's nicht in den Tunnel sondern daran vorbei in den Schlussanstieg. Dieser sieht bereits von unten furchteinflössend steil aus. Doch es sind für uns nur noch rund 100 Höhenmeter und das Ziel in Griffweite setzt bei uns Kräfte frei, sodass wir bald oben am Passschild auf 2642 Meter Höhe - unserem Dach der Tour des Alpes 2016 - stehen. Wieder eine krasse Etappe, bei der wir erneut alles aus unserem Körper herausholen mussten. Die Rückfahrt auf der gleichen Strecke stellt für uns trotz Gegenanstieg auf den Télégraphe kein Problem dar - nur unglaublich heiß ist es wieder in St. Jean-de-Maurienne - und vor allem im Auto...

 

 



Etappe 4: Col de la Machine

45km, 1100hm

An Tag 4 verlassen wir unser Domizil in Le Bourg d'Oisans um mit dem Auto in die Provence zum Mont Ventoux aufzubrechen. Dennoch wollen wir unterwegs noch einen Gipfel erklimmen - logistisch gar nicht so einfach. Unsere Wahl fiel auf den "Col de la Machine" - der Name hat uns einfach überzeugt. Der Anstieg zum Machine beginnt in Saint-Jean-en-Royans, das im Department Drome liegt und Teil des Naturparks Vercors ist. In dieser Region ist der durch tiefe Täler begrenzte Gebirgsstock Vercors besonders spektakulär, denn das schroffige Felsmassiv türmt sich hier teilweise senkrecht zu verschiedenen Plateaus auf. Die Straßen laufen oft direkt an den Riffkanten entlang mit eindrucksvollen Blicken auf die Schluchten und Canyons. Und das wollen wir nun selbst erleben.

 

Der Pass selbst ist nicht besonders schwierig, dennoch sind es erneut über 1000 Höhenmeter, die es auf 13 Kilometer Länge bei Maximalsteigungen von 8% zu überwinden gilt. Es dauert ein wenig bis man hoch genug geklettert ist und sich der Blick auf die spektakuläre Combe Laval Schlucht öffnet. Dort fährt es sich spektakulär - die Straße wirkt wie in den Berg gesprengt  und die Fahrt am Abgrund entlang wird nur ab und zu von kleinen Tunnels unterbrochen. Doch recht zügig hat man diesen Abschnitt überwunden und wenig später stehen wir an der schmucklosen Passhöhe. Wir fahren den gleichen Weg zurück und legen noch ein paar Fotopausen ein. Zu erwähnen sei noch, dass Kjell auf kaltschnäuzige Art und Weise den Zielsprint im Etappenzielort Saint-Jean-en-Royans für sich entscheiden konnte. Denn während Fabian noch Dominiks Angriff auf der linken Seite konterte, zog Kjell unbemerkt aus dem Windschatten rechts an beiden vorbei. Chapeau! 



Etappe 5: Mont Ventoux

70km, 1600hm (Kjell, Dominik)

160km, 4500hm (Fabian)

 

Zum Abschluss unserer TdA 2016 haben wir uns den Berg der Berge ausgesucht, den Mont Ventoux. Der Gigant der Provence. Unwirklich wirkt dieses Monument auf uns. Inmitten einer hügeligen Landschaft ragt ein gewaltiger Bergrücken heraus, als gehöre er gar nicht hier hin. Oberhalb der Baumgrenze ist die Kargheit dieses Riesen schon von Weiten deutlich zu erkennen.  Wie eine Mondlandschaft, karg, schroff, ungemütlich und sehr windig, wenn der Mistral ordentlich reinbläst. So wird der Ventoux meist beschrieben. Oben am Gipfel thronen das Observatorium und der Sendemast mit der markanten rot-weiß-gestreiften Antenne. Bereits von der Autobahn ist der Berg und das Ziel klar zu erkennen - dort wollen wir hin. Ein würdiger Abschluss unserer Tour.

 

Übernachtet haben wir in der Nähe des "weißen Riesen" in Mazan - in der örtlichen Pizzeria haben wir uns am Vorabend ordentlich gestärkt. Bei der heutigen Tour haben wir nicht nur eine, sondern zwei Geschichten zu erzählen - zum einen das Erlebnis von Dominik und Kjell, die den Mont Ventoux von der klassischen Auffahrt aus Bédoin erklimmen. Und dann noch die Heroenerzählung des Fabian Parchmann, der um 5:40 Uhr morgens startete, um den Ventoux von allen drei Auffahrten zu bezwingen. Als Belohnung winkt ihm die Aufnahme in den "Club des Cinglés du Mont Ventoux" - dem Klub der Verrückten des Mont Ventoux. Mei, wer's braucht.. 

 

Dominik und Kjell

Ausgeschlafen jedoch nach einem nicht sehr üppigen Frühstück in unserem Hotel in Mazan - das war im Ferienhaus schon ein Luxus sich Schinkennudeln zum Frühstück zu brutzeln - satteln wir auf und rollen von Mazan nach Bedoin. Dort herrscht bereits Hochbetrieb und zahlreiche Rennradfahrer sind auf den Straßen zu sehen. Bedoin ist das Mekka für alle Rennradfans, denn hier startet man, um den Giganten zu erklimmen. 21,4 Kilometer Anstieg und 1576 Höhenmeter bei einer durchschnittlichen Steigung von 7,5% und Spitzenwerten von 13% sind es. Na dann, los geht's. Die ersten Kilometer geht es bei mäßiger Steigung an freien Feldern entlang raus aus den Ort und gefühlsmäßig eher vom Gipfel und der Antenne weg, die man bei einem Blick über die linke Schulter fest im Visier hat. Kurz danach ändert sich die Landschaft und das Profil schlagartig: Man befindet sich nun im Pinienwald und die Steigung wird schlagartig knüppelhart. Sie liegt in der Regel bei 9-10% - nie darunter, leider jedoch ein paar Mal darüber. Der Anstieg gibt uns keine Pause, wir müssen zudem mit dem Wasser haushalten. Im Sog der zahlreichen anderen Rennradler wollen wir uns jedoch keine Blöße geben und unser Tempo halten. Immer wieder gehen wir aus dem Sattel, um im Wiegetritt ein paar Meter schneller zu werden. Wir sehnen das Chalet Reynard - eine kleine Raststation an der wir Wasser und Kraft tanken wollen - sehnsüchtig herbei. Aber der Anstieg lässt nicht nach. Über zehn Kilometer Länge müssen wir im kleinsten Gang die permanente Steigung von 9-10% drücken. Dann ist das Refugio erreicht. Mit Cola, Wasser und einem kleinen Snack stärken wir uns. Wo Fabian wohl gerade ist und wie es bei ihm so läuft? Später mehr...

 

Ab dem Chalet Reynard hat der Berg einen komplett anderen Charakter, denn die Baumgrenze ist überschritten und man befindet sich inmitten der Geröllwüste. Dem Wetter ist man nun komplett ausgesetzt - wir haben Glück. Es ist zwar extrem heiß, aber statt dem gefürchteten Mistral weht nur ein laues Lüftchen. Topmotiviert gehen wir die letzten Kilometer an - der Gipfel scheint zum Greifen nah zu sein, aber der Schein trügt, denn bis zum ersehnten Ziel sind es noch 6 Kilometer. Der erste Kilometer mit nur ca. 5% Steigung versüßt uns auf jeden Fall die Weiterfahrt, dann wird es wieder spürbar steiler. Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll, aber die karge Landschaft wirkt irgendwie zusätzlich erschwerend. Als ob die Steinbrocken am Reifen hängen. Warum auch immer. Doch unser Ziel ist nicht mehr weit entfernt - auf den letzten 2,5 Kilometern schießen die Steigungswerte noch einmal in die Höhe auf im Schnitt 10%. Doch auch diese letzte Rampen bewältigen wir. Und so stehen wir kurze Zeit später bereit zum Beweisfoto am Passschild. Übrigens nicht zur zweit, sondern zu dritt mit Fabian, der hat allerdings noch einen Anstieg vor sich... Für Kjell und mich ist die Tour aber hier auf 1909m so gut wie geschafft. Wir sind stolz auf uns und blicken vom Mont Ventoux nicht nur in die Ferne, sondern auch auf die letzten Tage zurück. Alpe d'Huez, Croix de la Fer, Télégraphe, Galibier und jetzt also Mont Ventoux ... Pas mal! 


Fabian

5:00 Uhr. Der erste von sechs gestellten Weckern klingelt. 5:10 Uhr der zweite. Einfach liegen bleiben, ginge jetzt auch. 5:20 Uhr. Der dritte Wecker läutet. Ich müsste das nicht tun. Aber ich will. Also raus aus dem Bett. 5:40 Uhr. Leise die bereits gestern präparierte Kleidung übergestreift und aus dem Zimmer geschlichen, in dem auch Kjell und Dominik schlafen. Um 6 Uhr klicken die Pedalen. Dann wollen wir mal in Richtung Bedoin, dem Startort dieses Unterfanges. Die ersten Boulangerien haben bereits geöffnet, also gönne ich mir zum Frühstück standesgemäß zwei Pain au Chocolat.

 

Um dem Club der Verrückten offiziell beitreten zu können, muss - ganz altmodisch -  eine Stempelkarte ausgefüllt werden. Glücklicherweise ist dieses radsportverrückte Fleckchen Erde auf Abenteurer wie mich vorbereitet, so dass ich nur mit dem Stück Pappe wedeln muss. Die freundliche Dame in der Bäckerei weiß umgehend Bescheid und befeuchtet den Stempel. Die erste und zugegebenermaßen leichteste Aufgabe and diesem Tag ist somit geschafft. 

 

Wie auch schon für Dominik und Kjell geht der Anstieg los - nur eben rund 5 Stunden früher. Mit dem Wissen, dass es über 30 Grad Celsius an diesem Tag werden, tut die kühle Morgenluft regelrecht gut. Genauso die Gesellschaft. Denn scheinbar wollen heute ein paar mehr Radler zu den Verrückten aufschließen. Mich begleiten schon zu dieser frühen Stunde eine Hand voll Mitleidender. Man grüßt sich freundlich, weiß man doch sofort, dass man einen Gleichgesinnten erspäht hat. Pinienwald. Chalet Reynard. Mondlandschaft. Gipfel. Der erste Aufstieg ist geschafft. Die ersten Radtouristen lichten sich mit dem Objekt der Begierde ab - dem Pass-Schild. So auch ich. Viel Zeit will ich allerdings nicht vergeuden, denn jede Minute zählt.

 

 

Die Abfahrt in das von Bedoin aus gesehen nord-westlich gelegene Malaucène ist steil. Sehr steil. Was beim Hinabfahren natürlich toll ist. Die Übung allerdings besteht darin, genau dort auch wieder hochzufahren. Das vielleicht erhabenste Gefühl stellt sich beim Herabbrausen ein: was wohl alle die denken, die einem hier entgegenkommen. „Der hat es schon hinter sich, der Glückliche.“ Ich vermute sie wissen nicht, dass ich da noch zwei mal hoch muss. Die ersten Mitstreiter aus Bedoin treffe ich auch wieder - auf ihrem Weg nach oben. Ihr Arbeitstag wird wohl etwas schneller beendet sein, als meiner.

 

In Malaucène angekommen, besorge ich den nächsten Stempel, ein Stück kalte Pizza und noch kältere Cola. 10 Minuten Speicher auffüllen, so wie die Getränkeflaschen. Am Straßenrand sitzen. Dem Trubel in diesem süßen Städtchen folgen. Und wieder rauf aufs Rad. 21,2 Kilometer bergauf.

 

Aus der Morgenfrische ist schon eine respektable Wärme geworden. Zumal die karg mit Bäumen bewachsene West-Seite des Ventoux kaum Schatten spendet. Die Straßen werden auch voller. Immer mehr Radler tummeln sich auf dem Asphalt. Ich bilde mir ein, dass es sich um Touristen handelt, die sich ein komplettes Wochenende Zeit nehmen, um den Riesen der Provence von allen drei Seiten besteigen. Ihr Glücklichen. Die richtig steilen Stücke tun weh. Zumal der Belag gefühlt immer rauer wird. Beim Hinabfahren fiel das nicht auf. Kurz vor dem Gipfel stehen Fotografen, die einen bei seinem heroischen Trip ablichten. Die Bilder lassen sich dann später auf einer Website erstehen. Tage nach diesem Ritt finde ich mein Bild. Die totale Erschöpfung auf dem Rad sieht mich darauf an. So schlimm, wie ich dort aussehe, fühlte ich mich gar nicht. Die letzten paar hundert Meter und ich treffe Kjell und Dominik zur Mittagsstunde. 

 

Und wieder hinab. Bis zum Chalet Reynard gleicht diese Abfahrt dem ersten Aufstieg. Doch am Refugio geht es nach links Richtung Sault, in den Südosten des Berges. Insgesamt 25,4 recht flache Kilometer. So richtig Tempo kommt dabei nicht auf. Aber je flacher es bergab ist, desto weniger steil ist es dann auch wieder bergauf. Sault ist verschlafen. Nur der hiesige Dorfbäcker scheint anwesend zu sein. Und Mit-Leidende. Denn die Radler, die sich hierher verirrt haben, sind definitiv auch auf der Jagd nach der Verrückten-Trophäe. Sonst würde es niemanden hierher verschlagen. Also Pizza, Cola und Pain au Chocolat verspeist, Flaschen aufgefüllt, Stempel besorgt und kehrt gemacht. Letzter Aufstieg. Natürlich ist es noch heißer und gnadenloser. Zum Glück hat mir Kjell beim Gipfeltreffen sämtliche Power-Gels vermacht. Ich benötige alle. 

 

Obwohl die reinen Zahlen sagen, dass es hier um den einfachsten aller Wege hinauf handelt, ist es der einzige, der mich zu einer Pause zwingt. Radler um Radler ziehen vorbei. Sie alle nicken verständnisvoll. Manche rufe aufmunternde Worte zu. Ich verstehe kein einziges. Aber es war sicher aufmunternd gemeint. Weiter geht es. Bis zum Refugio, dass ich nun bereits das dritte Mal passiere, schlängele ich mich ganz gut nach oben. Doch dann kommen die berühmten letzten sechs Kilometer. Die Steinwüste wirkt noch mondiger. Aber die Schwerkraft stärker als sonst. Noch drei Kilometer. Wieder Fotografen. Ich hab es aufgegeben, auch nur irgendwie heroisch wirken zu wollen, geschweige denn zu können. Der Fotograf wendet sich ab. Er kann wohl Gedanken lesen. 

 

Weitaus weniger sportliche Radelnde überholen mich. Doch die Müdigkeit ist größer als verbliebener Restehrgeiz. Ich muss denen nix mehr beweisen. Nur noch treten. So kraftvoll es nur irgendwie geht. Und dann ahnt man die letzte Kurve. Und plötzlich geht es ganz, ganz leicht. Wie ein Magnet zieht mich der Sendemast die letzten Meter hoch. Der Rummel ist riesig und doch bekommt hier oben niemand mit, was ich eben gemacht hab. Besser gesagt die letzten 8 Stunden. Es ist ein sehr persönlicher, intimer Triumph. So richtig teilen kann ich diesen mit niemandem. Und trotzdem fühlt es sich großartig an. Nur noch eine Abfahrt, nur noch ein finaler Stempel und ich gehöre zu den weniger als 10.000 Menschen, die sich das angetan haben. Die 21 Kilometer in den offiziellen Startort Bedoin genieße ich nur noch. Denn es ist die mit Abstand schönste Strecke. Und Genuss ist etwas, das in den letzten Stunden eh etwas zu kurz kam. 

 

Im Ortskern von Bedoin warten Dominik und Kjell auch schon auf mich. Mit einer Cola und einem Sandwich. Mit der besten Cola und dem besten Sandwich. Wie gut solch simplen Dinge schmecken können.

 

 

Wir steigen ins Auto und fahren weiter Richtung Cote d‘Azur. Im Auto schlafe ich umgehend ein. Hard day in the Office.

 

Und was bleibt von dieser Tortour? Ich glaube es sind die vielen Nebensächlichkeiten und Augenblicke. Die Menschen. Zum Beispiel die Mutter aus London, die mir nach meiner dritten Ankunft so stolz von ihrer Tochter erzählte, die hier tatsächlich eigenständig hinauffährt. Oder dem freundlichen Belgier, der sein eigenes Fahrrad-Café namens Peloton de Paris besitzt. Und nebenbei das schönste Outfit an diesem Tag trug. Oder die Gruppe junger Mädels, die sich zwischen meiner zweiten und dritten Auffahrt in der Sonne brutzelten, während sie auf ihren heroischen Bruder warteten, der das gleiche vorhatte wie ich. Oder der Motorradfahrer, der mich mit respektvollem Abstand hinunter nach Bedoin begleitete. Und sich freundlich bedankte,  als wir in den Ort einfuhren. 

 

Und natürlich bleibt eine circa vier Zentimeter große Plastikmedaille, die einen an diesen Tag erinnern soll. Das wird sie. Für immer.

Fazit

Unser Frankreichtrip hat unsere Erwartungen bei Weitem übertroffen. Die Anstiege haben nicht nur klangvolle Namen - sie sind auch einmalig zu fahren. Zudem genießt die Radkultur in Frankreich einen weitaus höheren Stellenwert als in Deutschland. Der Rennradfahrer wird mehr respektiert, für den Tourismus ist er zudem ein wichtiger Faktor - zum einen für die Winterorte, die sich auch im Sommer über Gäste freuen. Oder beispielsweise für Fotografen, die an den bekannten Anstiegen an den besten Stellen positioniert sind und die Radfahrer in Action knipsen. Online können die Pics bereits ein paar Stunden später gekauft werden. Angenehm war auch, dass wir Motorrad-Fahrer nicht in so einer störenden Masse wahrgenommen haben, wie auf den österreichischen oder deutschen Alpenstraßen.

 

Vom Charakter ist diese Tour de Alpes nicht mit den klassischen Alpenüberquerungen aus den Vorjahren vergleichbar. Unser Fokus lag darauf, soviele Pässe wie möglich zu erklimmen, anstatt Kilometer zu fressen, um von A nach B zu kommen. Da wir zudem dankend auf den Rucksack verzichten konnten, war die Dynamik am Berg natürlich eine ganz andere, als beispielsweise im Vorjahr, als wir auf das Stilfser Joch mit mind. 5 Kilo Extra-Ballast auf dem Rücken hoch mussten.

 

Heißt: Es wird nicht unsere letzte Frankreich-Tour gewesen sein. Und auch ohne Rad lässt es sich hier gut aushalten, wie man auf den folgenden Bildern sieht....